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Editorial

Das zweite RISSE-Sonderheft, wiederum eine Originalanthologie, in der ausschließlich unveröffentlichte Texte zu lesen und Grafiken zu sehen sind, widmet sich dem Thema »Fremde«. Nicht irgendeiner Fremde, sondern Fremdheitserfahrungen, die hierzulande gemacht wurden und werden. Ohne dies beabsichtigt zu haben, steht das Heft damit im Kontext einer jüngst entfachten Debatte über die Gründe vieler Menschen, Mecklenburg-Vorpommern zu verlassen. Wie der Essay zum Auswanderungsmotiv zeigt, hat die hiesige Literaturgeschichte seit mehr als 150 Jahren immer wieder Zeugnisse für die Stabilität dieses Themas Hervorgebracht, und als die Redaktion mit AutorInnen sprach, die hier leben oder eine Zeit lang lebten, war das Interesse an der Mitarbeit groß. Bald wurde die Wahl zur Qual, denn uns erreichten weit mehr texte, als in diesem Heft unterzubringen waren.

Das Heft folgt zwei Grundlinien, einer zeitlichen und einer räumlichen Bewegung. Sie zeigen, dass auch an der Ostseeküste Erfahrungen von Fremdheit zu allen Zeiten gemacht wurden, aber sie unterschieden sich in ihrer Art und in ihrer sozialen Bedeutsamkeit, denkt man allein an die vergangenen zwei Jahrzehnte. In ihnen wandelte sich das Gebiet des heutigen Mecklenburg-Vorpommern von einer Zuzugsregion – übrigens der einzigen in der DDR – zu einem Landstrich mit extrem hohen Wanderungsverlusten, den vor allem junge Frauen fliehen. Deshalb ist Mecklenburg-Vorpommern aber noch kein klassisches Auswanderungsland. Immer waren es konkrete gesellschaftliche Bedingungen, die die Menschen, meist schweren Herzens, zum Weggang nötigten. Das aber heißt, es hängt von uns selbst ab, wie freundlich oder fremd das Land seiner Bevölkerung ist. In diesem Sinne engagiert sich auch die Literatur: um am Strand der Ostsee nicht stranden zu müssen. ||


Wolfgang Gabler

 

 

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