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Neues von John Brinckman

17.06.2014 das-ist-rostock.de

Vor zehn Jahren war John Brinckman für den Literaturwissenschaftler Wolfgang Gabler das, was er für die meisten heute noch ist: ein Plattdeutsch-Autor mit netten Geschichten. Vertreter des landestypischen trockenen Humors. Neunzehntes Jahrhundert. Dann las er "Kaspar Ohm un ick".

Dabei waren die Voraussetzungen nicht besonders gut. "Ich kann kein Platt", sagt Wolfgang Gabler. "Aber ich hab mich durchgekämpft. Und es hat sich gelohnt." Nicht nur, dass er durch John Brinckman (1814-1870) erfahren habe, wie Rostock in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts funktionierte – mit dem Hafen, mit sieben verschiedenen Währungen. "Man erfährt in diesem Roman auch, wie junge Männer in dieser Zeit sozialisiert wurden. Diesen sozialpsychologischen Aspekt habe ich bisher in noch keinem anderen Buch gefunden."

Danach kam "Höger up" – auf hochdeutsch "Höher hinaus": die Geschichte eines Findelkinds in Mecklenburg, das sich in den Kopf setzt, etwas Besseres zu werden. Und schließlich Junker wird und die schönste Frau von ganz Güstrow heiratet. "Das ist ein Märchen", sagt Wolfgang Gabler. "Es ist voller Ironie auf die damaligen Verhältnisse. Diesen sozialen Aufstieg konnte man damals nicht schaffen." Dazu das zentrale Bild des Fuchses und des Hechtes, die sich am Ufer des Güstrower Inselsees ineinander verbissen haben – als Allegorie der Verbindung von Stadt und Land. "Eine Verbindung, die auf Schmerz und Gewalt beruht: Man quält sich gegenseitig." Eigentlich hatte Wolfgang Gabler ein schönes, harmonisches Bild erwartet. "Aber diese Konfontation? Darauf muss man erst mal kommen!"

Hinzu kommt, dass er literaturgeschichtliche Hintergründe entdeckt hat: "Brinckman zeigt in wenigen Sätzen, dass er sich auf den 'Findling' von Kleist bezieht. Um das zu sehen, muss man Kleist aber kennen." Die genau gebauten Texte und das Spiel mit der Märchen-Metaphorik seien es gewesen, die ihn bewogen hätten, auf diejenigen zu hören, die Brinckman seit Jahrzehnten gegen den Ruf als bloßen Mundart-Dichter verteidigen. Doch wie soll man der Jugend von heute einen Dichter nahe bringen, der in einer Fremdsprache schrieb und seit 150 Jahren tot ist?

Die Grafik-Dozentin Susie Vier setzte ihre Studenten der Design-Akademie an diese Aufgabe. Sie ackerten sich durch eine hochdeutsche Übersetzung des Märchens und die Biografie von John Brinckman. Am Ende dieser Arbeit hatten sie dir Geschichte als Comic, als "Graphic Story" herausgebracht. Für die meisten der Studenten war es die erste Begegnung mit John Brinckman. Eine gemeinsame Bildsprache wurde gefunden – so dass zwar der Strich von Blatt zu Blatt unterschiedlich ist, sich aber keine allzu großen Sprünge ergeben.

Zwölf Wochen Arbeit stecken in der Bilderserie. Die Reduktion macht für Kinder und Erwachsene sichtbar, welcher Humor und welche Ironie in Brinckmans Geschichte stecken. Denn noch ist Brinckman an den Schulen in Mecklenburg kein Thema.

Auch in der Biografie John Brickmans haben die Autoren des Risse-Sonderheftes zum 200. Geburtstag neue Aspekte entdeckt: Als junger Mann wollte Brinckman nach Amerika auswandern. Nach zwei Jahren kam er zurück. Bisher wurde das einer Klima-Unverträglichkeit zugeschrieben: Brinckman hatte immer wieder Fieberanfälle zu überstehen. "Aber unser Autor Martin Graupner hat andere Gründe entdeckt: War es nicht viel eher das Heimweh, das ihn zur Umkehr bewog? Oder war es die Flucht vor einer Frau – wie der Autor Willi Passig nahelegt?"

Auf jeden Fall kann das Risse-Sonderheft zum 200. Geburtstag von John Brinckman durchaus ein Anfang sein, Brickman neu zu entdecken. Zum Beispiel auch als plattdeutschen Mark Twain – wie es der Autor und Wissenschaftler Gunnar Müller-Waldeck entdeckt haben will? Im Heft auch ein Interview mit der Ururur…-enkelin des Dichters Julia Brinckman und ein Essay über den Stand der Brinckman-Forschung von Wolfgang Müns. Übrigens ist es nicht das erste Mal, dass die Geschichte "Höger up" bildnerisch umgesetzt wurde: 1984 wurden in die Wand des Güstrower Stadtmuseums Kacheln eingesetzt, die im Keramikkurs entstanden waren – und die Geschichte des "Achim vom Heckenzaun" zeigen.

Am 20. Juni um 19 Uhr wird das Risse-Sonderheft zum 200. Geburtstag von John Brinckman im Möckelsaal des Peter-Weiss-Hauses der Öffentlichkeit vorgestellt. Es lesen Ronald Richardt und Martin Graupner. Dabei wird auch die Ausstellung zur Entstehung der Graphic Story eröffnet. Sie wird bis zum 4. Juli im Möckelsaal zu sehen sein. Der Eintritt ist frei, Spenden sind willkommen.

Frank Schlösser

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