"Risse" bietet neue Literatur

09.05.2012 Ostsee-Zeitung von Matthias Schümann

Rostock - Das Alter einfach wegpusten, wenn es einen anspringt. Mit vorgestülpter Unterlippe, als wäre es eine Haarsträhne. Dieses anrührende Bild findet die Autorin Sonja Voß-Scharfenberg in ihrer Geschichte "Das Alter": Die Mutter ist dement, die Kinder müssen sich nun um sie kümmern.
"Das Alter" erscheint in der neuen Ausgabe der Literaturzeitschrift "Risse". "Zeit" und "Alter" ziehen sich als geheime Themen durch das Heft, das Prosa, Lyrik, reflektierende Texte und Rezensionen enthält. Ragnhild Fesenmeyer, Jahrgang 1942, lässt die Zeit als blasige, klebrige Masse plastisch werden. In der Geschichte Ronald Richardts (geb. 1980) überlegt der Erzähler, ob er seinen verstorbenen Vater umbetten lassen sollte neben das Grab, das die Mutter in absehbarer Zeit belegen wird. Die Unterschiedlichkeit der Ansätze macht den Reiz des Heftes aus.
Sonja Voß-Scharfenberg, Dietmar Guth und Ronald Richardt lesen zum Erscheinen der neuen "Risse" am Freitag einige ihrer Texte. Die Lesung findet in Rostock statt, wo die Zeitschrift vor 15 Jahren gegründet wurde. Die Zeit geht auch an einer Literaturzeitschrift nicht spurlos vorüber, erneut steht sie am Scheideweg. Denn finanziert wird das Blatt aus Verkäufen und Abos, durch Spenden, Zuwendungen der Hansestadt Rostock — und durch die Förderung des Landes.
Von dort kam dieser Tage die Nachricht von einer wiederum gekürzten Fördersumme. In einer Krisensitzung verständigte sich die ehrenamtliche Redaktion darauf, trotz des schmerzhaft geschmälerten Budgets weiterzumachen. "Unser Ziel ist die Förderung von Autoren im Land", sagt Redaktionsmitglied Wolfgang Gabler. Man werde dieses Ziel weiterhin verfolgen. Ganz gewiss wird man die Folgen der neuerlichen Kürzung nicht einfach so wegpusten können wie eine störrische Haarsträhne. Mit dem Alter klappt das ja auch nicht.

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