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Poeten sprechen über Texte, Wein und Wasser

30.08.2005 Ostsee-Zeitung von Anke Wenzel

Zum fünften Mal fand im Rostocker Literaturhaus Kuhtor ein Poetenseminar statt. Zehn junge Schreibende nahmen teil.

Rostock (OZ) Das Treppenhaus ist dunkel. Nur in einem Raum des Rostocker Literaturhauses Kuhtor brennt Licht. Eine kleine Bar, roter Backstein, spitz zulaufende Fenster. Dunkle Holztische sind zum Quadrat angeordnet, zwölf Stühle, zwölf Gedecke. Der Raum füllt sich, die jüngste Teilnehmerin ist siebzehn, die ältesten sind fünfunddreißig.
Mit zwanzig Seiten Text haben sie sich beworben, Lyrik, Prosa, Dramatik. Achtzehn Bewerber, zehn Teilnehmer. Drei Männer, sieben Frauen, acht aus dem Raum Rostock. Kerstin Preiwuß ist aus Leipzig angereist. Dort hat die 24-Jährige Germanistik, Psychologie und Philosophie studiert, ab Oktober promoviert sie über deutsch-polnische Städtenamen. Zum Kuhtor fährt sie mit dem Fahrrad, ihre Familie lebt in Rostock.
Der Literaturwissenschaftler Dr. Wolfgang Gabler leitet das Seminar mit der Schweriner Schriftstellerin Sonja Voß-Scharfenberg. Drei Tage dauert das 5. Poetenseminar, drei Tage Gespräche über Texte, drei Tage Schreibübungen, eine Lesung, ein Vortrag. Beginn morgens halb zehn, Ende nicht vor 21 Uhr. Die erste Schreibübung am ersten Abend: „Ein Text, der nur den Vokal ,e' enthält, fünfzehn Minuten Zeit.“ Ein Raunen im Raum, Stirnrunzeln, Schulterzucken, jemand lacht. Wolfgang Gabler öffnet Türen, zeigt stille Räume zum Schreiben. Johanna Michallik, 35, freie Lektorin, setzt sich auf die Treppe, Julia Herzog, 17, Schülerin, geht in die obere Etage. Kerstin Preiwuß bleibt sitzen, stöhnt. „Unter Druck schreiben ist schwer, vor allem, wenn man es dann vorlesen muss.“ Rotwein wird geöffnet, man einigt sich auf das Du. „Das macht die Arbeit leichter“, meint Wolfgang Gabler. „Es macht auch Kritik leichter“, sagt Johanna Michallik und lacht.
„Der gerechte Weg, der“, schreibt Kerstin Preiwuß mit geraden Buchstaben, Füller auf weißem Papier. Es ist der Titel ihres „E“-Gedichts. Die junge Frau schreibt, seit sie zehn ist. „Als Arbeit betrachte ich das Schreiben seit zwei Jahren.“ Sie schreibt Lyrik und lyrische Prosa, hat in der Literaturzeitschrift „Risse“ veröffentlicht, arbeitet an einem Gedichtband. Gegen elf hört es auf zu regnen. Eine stille Nacht. Licht brennt nur in einem Zimmer des Literaturhauses. Kerstin Preiwuß steigt aufs Fahrrad.
Erstes Textgespräch am nächsten Morgen. „Eine Glosse“, sagt Kerstin Preiwuß, „oder eine Kolumne.“ Johanna Michallik schmunzelt, sprechen darf sie als Autorin erst, wenn das Gespräch über ihren Text beendet ist. Zweite Schreibübung: „Vier Verse in vierhebigen Jamben, dominieren soll der Vokal ,e', fünfzehn Minuten Zeit.“ Drei weitere Textgespräche. Am Abend ein Vortrag. Prof. Dr. Lutz Hagestedt vom Institut für Germanistik der Universität Rostock spricht über Literaturkritik, Gegenwartsliteratur und junge Autoren.
Zwei Textgespräche am nächsten Morgen, dritte Schreibübung: „Ein Dialog, der in Bewegung ist, sich steigert und abrupt endet, fünfzehn Minuten Zeit.“ Gegen drei ein Textgespräch. Titel „Pirat“, lyrische Prosa. Autorin Kerstin Preiwuß. „Ich wollte einen Ton finden, mit dem sich über Kindheit sprechen lässt, ohne sie chronologisch zu erzählen.“ Silke Hameister, 35, freie Grafikerin, lobt: „Wundervolle Bilder, herrlich, wie bestimmte Situationen beschrieben werden. Mit fünf bist du mir anheim gefallen, sagt der See und wiegt sich träge in den Hüften. Das ist doch fantastisch.“
Roland Graf, 31, Versicherungskaufmann, widerspricht: „Was soll das heißen, tiefschürfender anzusehen, ist das schön?“ „Ja“, sagt Madlen Sasse, 21, Studentin. Roland Graf zweifelt. „Der Leser bleibt hängen. Kann man das machen, kann man eine ganz neue Sprache entwickeln?“ Sonja Voß-Scharfenberg nickt. „Man kann – wenn man kann“, sagt sie. „Ich finde, sie kann es.“ Stille. Kerstin Preiwuß schreibt, unterstreicht Wörter, zeichnet Fragezeichen an den Rand des Textes. „Ein wunderbarer Text“, sagt Wolfgang Gabler später. Kerstin Preiwuß lächelt. „Ein gutes Gespräch", sagt sie.
Am letzten Morgen nochmal zwei Textgespräche. „Was mir auffällt, ist, dass Wasser ein Thema ist“, sagt Wolfgang Gabler, „in beinahe allen Texten gibt es Schwimmlehrer oder da gehen Menschen ins Meer, jemand riecht nach Chlor, Kinder werden vom See geholt.“ „Das macht das Land“, sagt Silke Hameister. Kerstin Preiwuß lacht. „Wir sind eben nah ans Wasser gebaut.“
Wolfgang Gabler kann sich eine Lesung als Abschluss des Poetenseminars vorstellen. Einige nicken. Er dankt – „für Streit, für Vertragen“. „Es war schlauchig, aber wunderbar“, sagt Sonja Voß-Scharfenberg. Kerstin Preiwuß zieht ihre schwarze Cordjacke über, verabschiedet sich von jedem Einzelnen, lacht. „Ich wünsche euch ein schönes Leben an der Ostsee“, sagt sie. Und steigt auf ihr Fahrrad.

 

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