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Kulturträger beklagen Förderrichtlinien des Landes

30.08.2004 Ostsee-Zeitung von Matthias Schümann

Wolgast (OZ) Auf der Bühne vor dem alten Rathaus hat ein kleines Orchester Platz genommen und spielt Marschmusik. Es ist die Jugendblaskapelle der Freiwilligen Feuerwehr Koserow. Auf dem Platz herrscht Wochenmarktatmosphäre: Zum Hum-ta-ta gibt es reichlich Kesselgulasch und Bratwurst, dazu Kurioses an verschiedenen Ständen: Filzpantoffeln und handgestrickte Clownsfische, entfernt an „Nemo“ erinnernd. Dass es sich um die Landeskulturtage 2004 handelt, die am Wochenende in Wolgast und Zinnowitz stattfanden, erkennt man an Tischen mit regionaler Literatur. Die Greifswalder Autorin Ingeborg Lohfink signiert im Akkord selbst geschriebene Bücher, ein paar Schritte entfernt die Rostockerin Hannelore Weymann, im Angebot unter anderem ihr neuer Titel „Lenareise“ der Weltenbummler Markus Möller und Ronald Prokein.
Parallel zum bunten Programm, das rund 5000 Zuschauer anzog, fand die jährliche Kulturkonferenz des Landes im Wolgaster Rathaus „Kultur für uns – Kultur für andere“ statt. Das Thema wird allerdings überlagert durch die Frage des Bildungsministers Hans-Robert Metelmann nach der Rolle bürgerschaftlichen Engagements in der Kultur. Eine Frage, die eher im Raum stehen blieb, als dass sie von ministerialer Seite beantwortet wurde. Denn der Politiker hatte keine Zeit gefunden, an der lang erwarteten Auseinandersetzung mit kulturellen Trägern des Landes teilzunehmen. Eine Tatsache, die Moderator Ernst-Jürgen Walberg, Kulturchef bei NDR 1 Radio M-V, als überaus „enttäuschend“ empfand und andere Teilnehmer als politisches Signal werteten.
Was sich Metelmanns Vertreter Enoch Lemcke, Abteilungsleiter Kultur im Ministerium, dann anhören musste, war nicht nur angenehm. Schwerpunktsetzungen und Planungssicherheit bei der Förderung kultureller Projekte – das sind vorherrschende Themen. Anette Handke vom Literaturrat etwa klagt Transparenz bei der Vergabe von Fördermitteln ein, auf dass verständlicher werde, wer warum gefördert werde. Ein ebenso großes Problem sei der Zeitpunkt der Förderung. Unhaltbar der Zustand, dass Förderbescheide erst im Laufe des Frühjahrs eingehen, weshalb die Akteure gezwungen sind, über mehrere Monate in Vorleistung zu gehen. Diese Praxis forderte bereits Opfer – etwa die Literaturzeitschrift „Risse“ und im kommenden Jahr möglicherweise auch das Neubrandenburger Festival „documentArt“, wie dessen Leiter Holm-Henning Freier andeutete.
Von „Substanzverlust“ durch unsichere Förderpolitik spricht auch Thomas Wendorf vom Landesmusikrat. Er fordert klarere Konzepte und Leitbilder in der Kulturpolitik, eine Auflistung der kulturellen Landesdaten, um Kultur und ihren potenziellen Verlust quantifizierbar zu machen, eine ständige Kulturkonferenz. Ferner die Kontrolle, ob die bereits vorgenommene Schwerpunktsetzung des Landes, nämlich Musikschulen, Jugendkunstschulen und Bibliotheken verstärkt zu fördern, in der Praxis überhaupt greift und ob die geförderten Träger strukturell in der Lage sind, sich zu Kompetenzzentren zu entwickeln. Das Ausbleiben des Ministers wertete Wendorf als „Schwerpunkt gegen die Kultur“.
Entsprechend fordert Wendorf von den Kulturträgern, das Schicksal in die eigenen Hände zu nehmen. Generell dürfe sich Kultur künftig nicht allzu schnell dem Argument der Tourismustauglichkeit und damit Wirtschaftlichkeit von Kultur beugen. Bestärkt wird er darin von den Ergebnissen einer von Wilhelm Steingrube von der Uni Greifswald durchgeführten Studie: Die Mehrheit der befragten Sommergäste gab demnach an, sich für Kultur „überhaupt nicht zu interessieren“.
Die Frage nach dem bürgerschaftlichen Engagement beantwortete Wolf Karge vom Museumsverband mit den vorläufigen Ergebnissen einer Kulturanalyse: 98 Prozent ehrenamtliche Arbeit bei den niederdeutschen Bühnen, 93 Prozent bei den Museen, 90 Prozent bei den Chören.
Enoch Lemcke pariert Forderungen und Kritik als wackerer Statthalter des Ministers. Er verweist auf eine Kulturkonzeption als „work in progress“ und bekräftigte die Politik der Regierung. Planungssicherheit könne es angesichts des Hickhacks im Haushalt nicht geben. Verbesserungswürdig sei allerdings die Kommunikation des Ministeriums mit den Kulturträgern. Zumindest die kommende und vielleicht letzte Ausgabe der „Risse“ werde er kaufen. Bürgerschaftliches Engagement? Thomas Wendorf gibt eine andere Perspektive, indem er ein Kanzlerwort zitiert: „Wir sollten uns lieber selbst reformieren, bevor wir reformiert werden.“

 

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