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Literatur hinter Gefängnismauern

04.06.2004 Ostsee-Zeitung von Matthias Schümann

Die Literaturzeitschrift „Risse“ präsentierte ihre neue Ausgabe in der Justizvollzugsanstalt Bützow. Beamte, eine junge Gefangene und der Justizminister lasen in ungewöhnlicher Umgebung Texte aus dem aktuellen Heft.

Bützow (OZ) König Krause hat seine Getreuen aus dem Schlaf geholt, um ihnen seine Pläne mitzuteilen. Seine Forderung ist einfach, aber umso schwerer umzusetzen: „Verändert euch!“ Kein echter König ist es, der da spricht, sondern Bert Koß, Schriftsteller und Verfasser des Hörspiels „Im Traumspalier“.
Der Vortrag ist für Bert Koß nicht ungewöhnlich: Wahllos hat er aus dem Publikum Freiwillige ausgewählt, die den ihnen unbekannten Text vortragen. Ungewöhnlich sind allein die Umgebung und die Vortragenden. Die Lesung findet in der Justizvollzugsanstalt Bützow statt. Unter den Lesenden befinden sich Beamte, eine junge Gefangene und Justizminister Erwin Sellering.
Veranstaltungen wie diese, eine Lesung hinter Gefängnismauern, seien Luxus, erklärt Sellering. Die Literaturzeitschrift „Risse“ war es, die diesen Luxus möglich machte. Initiiert von Dr. Barbara Nieszery, der Anstaltsärztin, fand die Präsentation des soeben erschienenen neuen Heftes im Gefängnis statt. Zu Gast waren neben Bert Koß auch der Greifswalder Jürgen Landt, der zu DDR-Zeiten drei Mal ins Gefängnis musste, sowie der Bützower Wolfgang Severin-Iben. Auch er saß einst in Bützow ein. Unter den Autoren des aktuellen Heftes finden sich auch Insassen der Anstalt, Gewinner eines internen Literaturwettbewerbs. Darunter „Locke“ Stein. Eine 28-Jährige mit kurzgeschorenen Haaren, deren Gesicht von wenigen blonden Fransen eingerahmt und von Piercings quasi durchlöchert ist. „Niemand“ heißt ihr in „Risse“ erschienener Text. „Du bist ein Einzelstück“, konstatiert sie darin. Der Text ist so selbstbewusst wie die Person selbst. „Locke“ sitzt sechs Jahre wegen Drogenhandel, 2001 kam sie nach Bützow. „Mit dem Schreiben habe ich aus Langeweile angefangen, und um den Frust runterzuschreiben.“
Einer der Hauptverantwortlichen für die Lesung heißt Jörg Borkenhagen, Chefredakteur der Anstaltszeitschrift „Fidelio“. Er initiierte jenen Literaturwettbewerb mit dem Titel „Wer schreibt, der bleibt“. 2010 könnte Borkenhagen entlassen werden. Vielleicht. Verurteilt wurde er 1995 zu lebenslanger Haft.
Literatur ist wichtig für die Gefangenen. Der Bibliothekar freut sich über regen Zuspruch, vor allem Romane werden ausgeliehen, sagt der Mann, der seit 1970 hinter Gittern sitzt. Seine Erkenntnis ist auch Barbara Nieszery nicht fremd, die sich bemüht, einen Lyrikzirkel zu installieren. Neben dem Schreiben sei auch die Veröffentlichung wichtig, sagt die Ärztin. Dabei habe sie auf „Risse“ gesetzt.

 

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