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Botschaft statt Image

21.08.2002 Ostsee-Zeitung von Horst Krieg

Schwerin „Hörensagen ersetzt Lesen, Klischees ersetzen Wissen, Mode steht für Handwerk, Image zählt mehr als Botschaft. . .“ Diese schlechten Noten gibt Schriftsteller Reinhard Wosniak dem Literaturbetrieb heute. In seinem jüngsten Aufsatz „Jahrtausendknick“ kritisiert er das Laute, Bunte und Glatte seines Metiers. Die gesellschaftliche Wirkung der Literatur werde weiter stark zurückgehen, prognostiziert er. Wozu dann noch schreiben? fragt er provozierend, aufrüttelnd oder doch nur mit dem Mut der Verzweiflung?
Der in Seehof bei Schwerin lebende Autor hat sich in mehreren Essays mit Literatur und Kunst auseinander gesetzt. In „Morbus–Eine Krankheit in Europa“, seinem wohl wichtigsten Werk, zeichnet er Psychogramme von Künstlern, die an ihrer Gesellschaft leiden und deren Normen durchbrechen: Franz Schubert, Edvard Munch, Antonin Artaud u. a. Die 1998 erschienene Essay-Sammlung, bekennt er, sei die fast zwanghaft notwendige Form gewesen, all das, was er über Kunst und Psychologie erfahren hat, zusammenzufassen und auf den Punkt zu bringen.
Zwei Dinge faszinieren ihn am Thema Kunst: die Poesie selbst und die Haltung von Künstlern, „die neben oder außerhalb der Gesellschaft stehen und sie mit weit geöffneten Augen reflektieren.“ Ihn interessieren Künstler, die nicht nur historische Auseinandersetzungen widerspiegeln, sondern darin „den Menschen in seiner Beschränktheit, Fehlerhaftigkeit, in seiner ganzen Problematik erfassen.“ Das zieht sich als Thema durch „Morbus“, eins von vier Büchern, die er schreiben musste.
Ein anderes heißt „Stilicho“ (1989), ein historischer Roman über das antike Rom vor dem Untergang. Da genoss er, in Geschichte abzutauchen, die ihn seit frühester Jugend interessiert hatte. Dann 1995 der Kurzroman „Sie saß in der Küche und rauchte“, eine deutsch-deutsche Liebesgeschichte und akute Reaktion auf die Wende in heiter-ironischer Brechung. Schließlich der Novellenband „Pietà“ (1996), sein Versuch, die sprachliche Kraft der deutschen Novellistik für sich zu entdecken.
Seit diesem selbst auferlegten Pflichtprogramm sind nur kleinere Arbeiten erschienen, darunter mehrere Essays. „Die essayistische Darstellung ist eine Chance, Vorgedachtes auf den Punkt zu bringen“, weiß er. Dass Essays nicht eben von breitem Publikum gelesen werden, ist ihm nicht so wichtig. Er will nur eins: Das, was ihn beschäftigt, zwischen zwei Buchdeckel bekommen. Wenn er sich hinsetzt, abends und am Wochenende, freut er sich auf den Rausch des Schreibens, auf das Vergnügen, schöpferisch zu sein. Wenn sich dazu Erfolg einstellt, sei das doppelt schön.
Gegenwärtig bereitet er einen Roman vor, sammelt Stoff aus eigenem Erleben. Will erzählen über die Kindheit in einer sächsischen Kleinstadt zwischen Chemnitz und Dresden. Wo drei Generationen unter einem Dach lebten. Ein Entwicklungsroman soll es werden, kein Buch über die DDR, obwohl er die Menschen nicht unabhängig vom gesellschaftlichen System sieht, sollen sie doch ihre Eigenständigkeit haben. Wie in den anderen Büchern klebt er nicht an historischen Details; entscheidend ist die psychologische Durchdringung der Figuren
„Das wird eine entspanntere Art zu schreiben“, freut sich Wosniak. „Denn ich muss mir nichts mehr beweisen, muss nichts los werden wie z. B. die Künstlerproblematik in 'Morbus'. Möchte nur gern erzählen.“ Dabei hilft dem promovierten Schiffstechniker, dass er mit beiden Beinen im Alltag steht. Seit '95 arbeitet er als Projektmanager bei der Kassenärztlichen Vereinigung in Schwerin. Ein innovativer Job, betont er. Er ist verantwortlich z. B. für neue Versorgungsformen ambulanter Medizin und kann experimentieren. Hier sammelt er Erfahrungen mit Menschen und Situationen. Da braucht er keinen Schriftstellerverband. Was er ab
er am literarischen Leben in M-V schätzt, ist die Literaturzeitschrift „Risse“, „die interessante Leute vorstellt“, und den Literaturförderkreis am Rostocker Kuhtor, dessen Mitglied er ist.
Wenn er sich etwas wünscht in der Literaturlandschaft, dann die Wiederbelebung einer alten Form menschlicher Kommunikation: das Vorlesen. Autoren sollen im Literaturunterricht der Schulen aus ihren Büchern lesen, oder wenigstens die Lehrer. Es müsse ja kein Event draus werden. „Woher haben wir denn unsere stärksten Erinnerungen?“, fragt er und liefert die Antwort mit: „Aus den Erzählungen der Kindheit“. Er jedenfalls habe heute noch genau vor Augen, wie Opa auf der Ofenbank Geschichten über Krieg und die Zeit danach erzählt hat. Da habe er, Jahrgang 53, Wissen und soziale Prägung erhalten.
Dieser rote Faden historischer Überlieferung in Familie und Gesellschaft sei heute leider durchschnitten. Deshalb muss er über den Zustand von Literatur schreiben, den er bedrohlich findet. Damit Literatur am Leben bleibt, Klischees nicht Wissen ersetzen und Image nicht mehr zählt als Botschaft.

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