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Risse, Grundrisse, Abrisse

Dezember 1997, Kulturspiegel

Im nächsten Frühjahr präsentiert die Kultusministerin eine neue Literaturzeitschrift für M-V

Gespräch mit Thomas Gallien, Anette Handke, Dr. Wolfgang Gabler.

An jeder Straßenecke bersten Kioske von ihrem Angebot. Nirgendwo anders als angesichts der Zeitungsregale kann man erahnen, daß diese Welt, sollte sie es tun, am Überfluß, nicht am Mangel zugrunde geht. Wie es für jede Neurose eine Selbsterfahrungsgruppe gibt, erscheint für jedes Interessengebiet eine Zeitschrift – oder sowas Ähnliches. Nur: Interessengebiete gibt’s viel mehr als Neurosen. Andererseits wird allerorten geklagt, daß man dem Überangebot nicht mehr Herr sei, und zwar vor allem aus Zeitgründen.
Trotzdem hat man sich vor ein paar Monaten in Rostock zusammengesetzt und beschlossen, dem Wirrwarr eine weitere Zeitschrift beizusteuern. Oder besser: das Chaos zu unterlaufen. Der Vergänglichkeit schnellebiger Themen stellt man die Langsamkeit von Literatur und Kunst gegenüber, der überschäumenden Flut farbiger Bilder begegnet man mit schlichtem Layout. Der Name des Projekts lautet „Risse. Zeitschrift für Literatur in Mecklenburg und Vorpommern“.
Der Kulturspiegel unterhielt sich mit drei der Organisatoren. Anette Handke dürfte als Leiterin des Literaturhauses Kuhtor und maßgebliche Organisatorin der Literaturtage im letzten Monat weithin bekannt sein. Dr. Wolfgang Gabler lehrt als wissenschaftlicher Assistent „Neueste deutsche Literatur“ an der Universität Rostock und ist über die Stadtgrenzen hinaus bekannt als Literaturkritiker der Ostsee-Zeitung. Thomas Gallien schließlich betreut als Lektor im Hinstorff-Verlag unter anderem die Belletristik.

KSp: Das Angebot an Zeitungen und Zeitschriften ist riesengroß. Warum eine neue auf den Markt bringen, wo schon die vorhandenen kaum einer liest?

A. Handke: Im Grunde handelt es sich ja nicht um eine neue Zeitschrift, vielmehr um einen Neuanfang. Der Rostock Martin Ebert hat die „Risse“ schon seit einigen Jahren herausgegeben und es dabei auf siebzehn Ausgaben gebracht. Seit gut einem halben Jahr bemüht er sich, das Projekt in anderer Form weiterzuführen. Bei der Gelegenheit hat er sich auch an den Literaturförderkreis Kuhtor e.V. gewandt, dem ich angehöre. Gemeinsam konnten wir schließlich Thomas Gallien und Wolfgang Gabler gewinnen. Martin Ebert hält sich momentan in Norwegen auf, kommt im nächsten Jahr aber wieder nach Deutschland zurück.

KSp: War es einfach, neue Mitarbeiter für „Risse“ zu interessieren?

Th. Gallien: Ich war sehr skeptisch zu Anfang und bin es noch. Ich fürchte dabei in erster Linie, daß sich das alte Konzept der Zeitschrift, nur neue Texte junger Autoren zu publizieren, als nicht tragfähig genug erweisen würde.

A. Handke: Aus diesem Grund wurde ein neues Konzept nötig, das einzelne Heft muß anders strukturiert werden als bisher.

KSp: Der regionale Bezug ist im Titel zumindest noch gegeben. Wie sieht das neue Konzept denn aus?

W. Gabler: Wir haben uns drauf geeinigt, daß das Heft zweimal im Jahr erscheinen wird, und zwar zum Bücherfrühling und zu den Literaturtagen im Herbst. Es wird circa 80 Seiten stark. Im ersten Teil findet sich die eigentliche Literatur, wobei wir prinzipiell alle Gattungen aufnehmen wollen, also Prosa und Lyrik, aber auch Reportagen. Dieser Teil wird um die 60 Prozent des Heftes ausmachen. Im zweiten Teil finden sich dann Literaturkritik, Essays und Betrachtungen zum literarischen Leben in Mecklenburg und Vorpommern. Mit dabei sind ein paar ständige Rubriken wie z.B. „Wiedergelesenes“, wo es um interessante ältere Texte gehen wird, oder „Widergelesenes“, wo eine neuere Erscheinung von zwei Kritikern polemisch rezensiert wird.

Th. Gallien: „Literarisches Leben“ bezieht sich auf literarische Projekte, Verlagsprojekte oder Porträts von Autoren.

KSp: Vor einiger Zeit gaben Sie die Gründung der Zeitschrift in der Ostsee-Zeitung bekannt. Am 1. Dezember, hieß es da, sei Redaktionsschluß. Sind bei Ihnen mittlerweile genug Texte eingegangen?

A. Handke: Es ist schon eine Reihe von Texten unterschiedlichster Gattungen eingeschickt worden. Die Qualität schwankt dabei natürlich.

W. Gabler: Wir wollten das erste Heft programmatisch zum Thema „Risse“ gestalten. Es überraschte uns allerdings nicht, daß die meisten Autoren diese thematische Ausrichtung ignoriert haben.

Th. Gallien: Die wechselnde Qualität der Einsendungen bestätigte natürlich
wiederum unsere Skepsis. Es ist offenbar notwendig, potentielle Autoren direkt an[... Text fehlt] motivieren. Welcher Text am Ende veröffentlicht wird, entscheiden letztendlich aber nicht wir drei allein. An der entsprechenden Redaktionskonferenz nehmen noch einige andere Mitarbeiter teil, also auch diejenigen, die die einzelnen Rubriken betreuen.

KSp: „Risse“ ist also mehr als ein bloßes Auffangbecken für junge Poeten?

W. Gabler: Natürlich streben wir keine bloße Dokumentation an von dem, was in Mecklenburg-Vorpommern passiert. Wir wollen auf Autoren zugehen, sie zum Schreiben motivieren, gegebenenfalls ihre Sensibilität beim Schreiben erhöhen. Aus diesem Grunde planen wir auch für das Frühjahr 1999 eine Art Konferenz, auf der die ersten drei Hefte mit den Autoren ausgewertet werden.

Th. Gallien: Um einen möglichst breiten Leserkreis anzusprechen, arbeiten wir ja auch mit bekannteren Autoren und mit Verlagen zusammen. In der ersten „Risse“-Ausgabe wird ein Auszug aus Daniel Katz’ Roman „Der Tod des Orvar Klein“ zu lesen sein, übersetzt von Regine Prischel. Der Roman selbst erscheint dann im Frühling bei Hinstorff. Katz ist zwar Finne, aber der Verlag sitzt in Rostock und die Übersetzerin ist Rostockerin. Auch das gehört zum literarischen Leben in Mecklenburg-Vorpommern.

KSp: Der Titel „Risse“ ist also nicht nur destruktiv zu verstehen?

A. Handke: Das bleibt jedem selbst überlassen. Wir halten den Titel möglichst weit für alle möglichen Assoziationen offen. Martin Ebert als Architekt dachte dabei an „Grundrisse“, Wolfgang Gabler denkt an „Ganzheitlichkeit“, den nur ein Ganzes kann Risse haben. Ich persönlich assoziiere mehr „Abrisse“: kurze Texte verschiedenster Art.

KSp: Wann genau erscheint denn das erste Heft und wie teuer wird es sein?

W. Gabler: „Risse“ wird DM 5,00 kosten. Es erscheint zur Eröffnung des Bücherfrühlings 1998. Grundsätzlich finanzieren wir uns durch private Sponsoren und Anzeigenkunden. Wir erhalten aber auch Unterstützung aus dem Kultusministerium. Aus diesem Grund wird die Kultusministerin die erste Ausgabe von „Risse“ der Öffentlichkeit präsentieren.

Matthias Schümann

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