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Editorial

Auf den ersten Blick gibt es hier im Norden wohl kein selbstverständlicheres Heft-Thema als "windig". Daraus resultierende Vorbehalte hatte die Redaktion, als sie begann, die eingesendeten Texte zu lesen. Wir wurden schnell eines Besseren belehrt. Zum Beispiel enthalten Oliver Klucks Schlussfolgerungen, obwohl die Haupthandlung an einem Strandabschnitt stattfindet, nicht ein einziges Mal das Wort Wind oder windig. Das an Ostseestränden allgegenwärtige Naturphänomen bekommt keine Zeile in diesem Text. Zum Glück ist des Windes Eigenschaft längst Metapher und bedient mit dieser Deutung andere Geschichten.

 Beim Blättern werden die vielen lyrischen Beiträge auffallen. Vermutlich verdanken wir einem RISSE-Autor diese Versflut. Er wies darauf hin, dass unsere Zeitschrift eine große Anzahl ihm bekannter LyrikerInnen nicht veröffentlichen würde. Achselzuckend konnten wir nur anmerken, dass wir auch die schönsten Zeilen nicht drucken können, sofern sie uns nicht gesendet würden. Vermuten können wir deshalb, dass man sich veranlasst sah, einigen Bekannten nahezulegen, uns eine Auswahl zu schicken. Wenn Titus Meyer mit der Strenge des Palindroms seiner Wortfindung nachgeht, dann wird der eine Leser das sportlich finden, der andere wird sinnsuchend kaum in den Schlaf kommen. Einig sind wir uns alle, dass solch eine Buchstabenberechnung unkonventionell windige Wortkombinationen benötigt.

Mecklenburg-Vorpommerns Literatur ist vielseitiger und lesenswerter, als es so mancher erwartet. Das zeigen z. B. die Auszüge aus zwei noch unveröffentlichten Manuskripten der zurzeit produktivsten Autoren des Landes. Mit der Erzählung Wege wegwohin schließt der Rostocker Dietmar Guth seine Trilogie Nachrichten aus der Fremde ab, zu der die Novelle Basalt (2012) und der Roman Drei Geschichten der Unberührbarkeit (2014) gehören; erfreulicherweise hat sich ein mecklenburgischer Verlag (edition m, neuerdings Grünberg Verlag) um die Veröffentlichung verdient gemacht. Der vorpommersche freiraum-verlag in Greifswald, der aktuell wichtigste Belletristik-Verlag des Landes, betreut seit einiger Zeit das Werk Uwe Saegers, und soeben erschien dort Gott in Ketten. Ein Film. Für das neue RISSE-Heft stellte der Autor freundlicherweise das Kapitel Der Wind zur Verfügung, das aus dem abgeschlossenen Roman-Manuskript Der Wind und die Sterne stammt.

Auch dieses Editorial entlässt niemanden ohne den Hinweis auf das Thema des nächsten Heftes: BLAU. Wieder ist das Offensichtliche nur ein kleiner Teil des Ganzen. Die Redaktion favorisiert dabei himmlische oder Tiefsee-Geschichten keineswegs – ohne die von vornherein hintanzustellen. Aber erst einmal wünschen wir eine fesselnde Lektüre gut durchlüfteter Texte.

Jens Lippert


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