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schweinverkehrt

„guten tag, ist hier noch frei?“

der mann war wie meistens in gedanken, dachte an den tod und umringte ihn im hirn mit noch lebenden, saftigen mösen, fühlte, wie sich der mösenkreis zuckend auflöste und in der hoffnung, daß sich der duftende kreis gleich wieder formieren und die gedanken und das bleiernde gefühl gegenüber dem lauernden tod in den schwitzkasten nehmen würde, antwortete er gestört und abwesend: „klar, hock dich kurz hin.“

der mann drehte sich auf der kalten, metallenen innenstadtsitzbank zur seite und erschrak: ein riesenschwein setzte sich neben ihn. kein richtiges schwein, aber ein typ versteckt in einem überdimensionalen rosaroten schweinekostüm, mit einem monströsen plüschschweinekopf über seinem menschlichen schädel, in schweinehautfarbenen plüschhosen, plüschjacke, plüschschuhen, riesigen plüschhandschuhen. sein schweinskopf besaß einen sehschlitz und unter der schweinsnase ein loch zum mund, in das er den trinkhalm aus einer glasflasche führte und kräftig saugte.

der mann konnte innerhalb der riesigen schweinspfoten nur ein großes BIO… auf dem flaschenetikett erkennen und fragte: „du, schwein, was trinkst denn da?“

„bionade.“

„und was ist da drin?“

„litschi.“

„na dann, prost deinem bio.“

„danke.“ der mann hörte ihn saugen.

der mann schaute an den neben ihnen platzierten mülltonnen vorbei geradeaus über die straße in die parfümerieauslage und hatte die den tod umringenden duftkreise im hirn verloren, hatte sich gerade an das schwein gewöhnt, als es ihn plötzlich erneut aufschreckte: „machen sie auch werbung für was?“

wollte ihn das schwein verarschen?

„nein, ich pflege nur meine chronische bronchitis!“, antwortete er und schnippste seinen kippen auf’s pflaster vorm parfümladen.

„ich sitze für die würstchenmanufaktor.“ sagte das schwein.

der mann steckte sich eine neue zigarette zwischen die freien lippen, nahm ein paar züge, und dann entkam es ihm: „ich war auch mal ein schwein.“

„ach ja?“

„ja.“

„und wo?“

„ich war mal ein schwein auf der couch.“

„wo denn? in einem autohaus oder auf der venus-pornomesse in berlin?“

„ne, privat.“

„auch verkleidet?“ wollte das schwein wissen.

„ne, so wie ich war.“ antwortete der mann.

„hm, ist ja komisch.“ grübelte das schwein und zog an seiner bionade.

eine horde jugendlicher tauchte vor dem parfümladen auf, blieb stehen, schaute zu ihnen rüber, und dann hörte der mann: „guckt mal, wie das schwein da trinkt!“

und das einzige mädchen in der gruppe rief lautstark zu ihnen rüber: „eh, du schwein, wichs mal dein ringelschwänzchen!“

die jungen bogen sich vor lachen und das mädchen setzte nach: „na, kann es doch mal machen, kommen bestimmt lauter fusseln raus!“

„aus dem ding machen wir würstchen!“ kam es von einem der bengel.

sie kreischten.

„der alte penner neben dem schwein, steht auf verbogene schwänze!“ vermutete das mädchen.

als der mann aufstand, um an eine nächste, in seiner hosentasche eingeklemmte schachtel zigaretten zu gelangen, machten sie sich amüsiert davon: „…betty, du bist geil, und was machen wir jetzt?“

„keine ahnung!“

„ich hab was ganz gerades…“ war das letzte, was der mann von ihnen hörte.

als er sich wieder setzte, schlürfte das schwein die luft vom boden der leeren bionade hoch.

„mußt’ auch noch umherlaufen, die straße hoch und runter?“ fragte der mann  irgendwann.

„heute nicht.“

„ist pfand auf der flasche?“

„weiß ich nicht, hat mir der chef gegeben. man ist mir heiß!“

eine mutter näherte sich ihnen langsam, führte ihren nachwuchs ans schwein heran. das kind weinte ängstlich, doch die mutter ließ nicht nach: „nun geh doch mal hin zu dem schwein, das ist doch nur ein netter onkel!“

das schwein zückte einen aufgeblasenen rosa luftballon an einem stiel. wo er den plötzlich hergezaubert hatte, blieb selbst dem mann ein rätsel, und hielt ihn schwenkend dem nachwuchs entgegen.

es nützte nichts. aber die mutter griff sich das teil.

stumm streckte das schwein dem kind eine seiner pfoten entgegen. tränen kullerten aus dem kind heraus, und jetzt plärrte es richtig los, begann zu zittern. die mutter schnappte sich die dicke plüschpfote, schüttelte sie dem schwein und meinte: „netten onkels kann man immer die hand geben.“

der mann im schwein hob sein hinterteil an, und das kind tapste ängstlich ein paar schritte zurück. es nützte nichts. das schwein erhob sich in seiner vollen pracht, machte einen schritt vorwärts und imitierte in einem winken ein nettes grunzen.

das kind quiekte.

„nun wink doch mal zurück, sei doch nicht so böse, streck doch einfach mal deine hand aus“ kam es von der mutter, doch das kind bewegte sich ohne winkzeichen weg. erst an der straßenecke animierte die mutter ihr kind zu einem erstarrten stop, und dann winkte die mutter alleine dem schwein.

„meine freundin will auch ein kind.“ murmelte er unter seinem plüsch beim wieder hinsetzen, schaute den mann an und drehte seine leere flasche.

„dann sei mal kein schwein und erfüll ihr den wunsch.“ war das einzige, was der mann antworten konnte, dachte an die schreiben vom jugendamt und sein oftmals einseitiges winken.

 

Risse 23


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